350 Jahre Rembrandt


Operation Nachtwache

Geschrieben von Philipp Jacobs
Gestaltet und programmiert von Phil Ninh

Das Rijksmuseum in Amsterdam erforscht und restauriert Rembrandts berühmtestes Gemälde vor aller Augen. Mit neuester Technik sollen die letzten Geheimnisse des niederländischen Meistermalers offengelegt werden.

Frans Banninck Cocq hat Akne. Man sieht sie kaum. Doch sie ist da. Kleine weiße Punkte überziehen das Gesicht des Hauptmanns. Und nicht nur das seine. Auch sein Leutnant Willem van Ruytenburch leidet daran. Nun sind Cocq und van Ruytenburch schon lange tot. Der eine seit 1655, der andere seit 1652. Sie leben allerdings weiter in Rembrandts weltberühmtem Gemälde „Die Nachtwache“. Die Akne, die die beiden befallen hat, ist damit auch keine gewöhnliche. Nicht jene, die ein jeder von uns kennt. Cocq und van Ruytenburch leiden an der Kunstakne. Es sind kleine sogenannte Metallseifen, die durch eine chemische Reaktion zwischen den Metallionen und den Fettsäuren entstehen, die häufig als Bindemittel in Ölfarben verwendet werden. Sie sind auf der „Mona Lisa“ zu finden, ebenso auf den Sonnenblumen van Goghs. Schönheit ist vergänglich. Deshalb gibt es Restauratoren.

Im Amsterdamer Rijksmuseum, das „Die Nachtwache“ seit 1808 beherbergt, läuft seit Juli die größte und bisher umfassendste Restauration des berühmten Werks von Rembrandt van Rijn – 350 Jahre nach dessen Tod. Öffentlich, für aller Augen sichtbar, untersuchen Kunstexperten „Die Nachtwache“ auf Alterserscheinungen. Zudem erhoffen sie sich neue Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte des Gemäldes. „Operation Nachtwache“ soll die letzten Geheimnisse Rembrandts ans Licht bringen. Um das Gemälde wurde dafür ein extra entspiegelter Glaskasten gesetzt. Die Museumsbesucher bleiben dadurch auf Abstand, können aber jeden Schritt der Restauratoren verfolgen – und der Roboter. Denn im Moment sind es vor allem Maschinen, die am Gemälde zu Gange sind.

Der Restaurator Henricus Hubertus Mertens bearbeitet im Jahr 1946 die erste Lackschicht der „Nachtwache“. | Bild: Rijksmuseum

Ein automatischer Schwenkarm, an dem ein Röntgengerät befestigt ist, „fotografiert“ jeden Millimeter von Rembrandts Meisterwerk. „Mithilfe der Aufnahme können wir sehen, was unserem Patienten alles fehlt“, sagt Gregor Weber, Leiter der Abteilung bildende Kunst am Rijksmuseum. Denn es sind nicht nur die besagten Metallseifen, die von der Alterung des Gemäldes zeugen. Die vom Künstler aufgetragene Schutzschicht, der Firnis, vergilbt. In der linken oberen Ecke wölbt sich „Die Nachtwache“ ein wenig aus. Rechts unten beim Hund ist die Farbe sichtbar verschwommen.

Gregor Weber, Leiter der Abteilung bildende Kunst am Rijksmuseum. | Bild: Rijksmuseum

Und dann sind da ja auch noch die Schäden, die nicht offensichtlich sind. Dreimal wurde „Die Nachtwache“ bereits Opfer von Vandalismus. 1990 schüttete ein geistig verwirrter Mann Säure über das Bild. Es ist wohl nur dem raschen Einschreiten der Wächter zu verdanken, dass das Werk zunächst keinen großen Schaden nahm. Sie überwältigten den Mann und sprühten Wasser über die betroffene Stelle. Doch der eigentliche Schaden könnte im Innern des Gemäldes entstanden sein, mutmaßen die Restauratoren nun. Die Lackschichten könnten angegriffen sein.

Doch „Operation Nachtwache“ soll nicht nur die Schäden am Gemälde offenlegen. Das Rijksmuseum hofft auf weitere Erkenntnisse darüber, wie „Die Nachtwache“ entstanden ist. Denn trotz jahrelanger Forschung und Analyse birgt das Meisterstück noch etliche Geheimnisse. Durch die Röntgenuntersuchung werden jetzt auch die chemischen Elemente, die in der Farbe und der Leinwand enthalten sind, sichtbar, etwa Kobalt, Kalzium, Eisen oder Kalium. Das Kobalt stammt beispielsweise aus dem Pigment Smalte, einem blauen Glas, das Rembrandt oft verwendete, weil es zu seiner Zeit günstiger war als Ultramarin. „Es wäre toll, wenn wir ein Pigment finden, von dem wir noch gar nicht wussten, dass Rembrandt es benutzt hat“, sagt Weber. Die Scans können auch Rembrandts Reuezüge aufzeigen – Überarbeitungen, die der Maler nachträglich vorgenommen hat. Das Museum erhofft sich so weitere Einblicke in den Malprozess. Um „Die Nachtwache“ vollständig zu visualisieren, sind 56 Scans erforderlich, die jeweils 24 Stunden dauern.

Detailaufnahme der „Nachtwache“. | Bild: Rijksmuseum

Den Historikern und Wissenschaftlern geht es allerdings nicht nur um die Farben oder Rembrandts Techniken. Da ist zum Beispiel auch noch die Frage nach der wahren Größe des Gemäldes. Gregor Weber beginnt etwas zu schmunzeln, wenn er über die Maße spricht. Er erzählt die Geschichte gerne. 1715 wurde „Die Nachtwache“ ins Amsterdamer Rathaus verlegt. Dumm nur, dass der Eingang etwas zu klein für das Bild war. Was aus heutiger Sicht unvorstellbar klingt, schien den damaligen Arbeitern und Restauratoren kein schlechtes Gewissen zu bereiten: Sie schnitten „Die Nachtwache“ kurzerhand einfach zurecht. Bei der Aktion gingen auf der linken Bildseite zwei Personen verloren. Auf der rechten Seite wurde der Trommler stärker angeschnitten. Wo die Leinwandteile heute sind oder ob es sie überhaupt noch gibt, ist nicht bekannt.

Die Suche nach den Fetzen führte sogar den Bestsellerautor Dan Brown zu Gregor Weber ins Rijksmuseum. Brown gelang mit seinen Büchern um den fiktiven Symbolforscher Robert Langdon, der weltweit geheimen Codes nachspürt, der internationale Durchbruch. „Dan Brown fragte mich, ob ich Ideen hätte, wo die fehlenden Stücke sein könnten und ob sie womöglich in einem anderen Werk Rembrandts versteckt sein könnten“, erzählt Weber. Leider habe er Brown enttäuschen müssen. „Ich weiß nicht, wo die Teile sind, aber vielleicht liefert ,Operation Nachtwache‘ einen Hinweis.“

„Die Nachtwache“ wird im Juni 1945 nach ihrer der Rückkehr aus den Höhlen von St. Pietersberg in Maastricht im Rijksmuseum ausgerollt. Das Gemälde wurde zum Schutz vor den Nazis in den Höhlen versteckt. | Bild: Rijksmuseum

Nach der ersten Untersuchungsphase, die voraussichtlich bis zum Frühjahr 2020 dauern soll, ist eine hochauflösende Fotografie des Gemäldes geplant. Dafür sollen zunächst 12.600 Teilaufnahmen entstehen. Jedes einzelne Foto wird in einer Auflösung von 180 bis zu fünf Tausendstel Millimetern aufgenommen, sodass bis auf Mirkoebene gezoomt werden kann. Die Teilaufnahmen werden dann zu einem großen Foto zusammengesetzt. Die Pixelgröße soll bei einer Million mal 760.000 liegen. 600 Terabyte an Dateninformationen sollen letzten Endes über „Die Nachtwache“ gesammelt werden, erwarten die Untersucher. Eine künstliche Intelligenz hilft ihnen bei der Erforschung der Bilddatei. „Die Software kann beispielsweise angeben, wo auf den Fotos des Gemäldes Staubpartikel zu sehen sind“, sagte der Chef-Wissenschaftler am Rijksmuseum, Robert Erdmann, dem „NRC Handelsblad“.

Wann „Operation Nachtwache“ ihr Ende finden soll, ist nicht in Stein gemeißelt. Man wolle sorgfältig sein, heißt es. Rund drei Millionen Euro stehen bereit. Damit dürfte auch die Akne von Frans Banninck Cocq behandelt werden können.

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Erkunden Sie auf unserer interaktiven Karte Rembrandts „Nachtwache“. ↓



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Von Philipp Jacobs (Text), Phil Ninh (Design und Programmierung)


RP ONLINE, 22.07.2024

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