Mehr als 20 Jahre stand Dirk Nowitzki auf dem Basketball-Court. Er stellte Rekorde auf, gewann Auszeichnungen, führte die Nationalmannschaft an die Weltspitze und die Dallas Mavericks zur Meisterschaft. Jetzt beendet er seine Karriere. Eine Würdigung.
Der Schrank gleich links am Eingang der Kabine: leer. Die gewaltigen Schuhe in Größe 54: verschwunden. Das Trikot mit der Rückennummer 41: nur noch im Fanshop zu finden. Wäre Dirk Nowitzkis Karriere ein Film, so wäre dies wohl die letzte Szene vor dem Abspann.
Dirk Nowitzki: Eine Karriere wie ein schnulziger Film
Die Geschichte des Würzburgers liest sich wie ein Hollywood-Drehbuch: Ein schüchterner Junge mit geheimnisvollem Mentor verlässt sein Elternhaus zwischen Weinbergen und findet nach vielen Rückschlägen neben sportlichem Erfolg auch die Liebe.
Dirk Nowitzkis Rookie-Jahr: Aller Karriere-Anfang in der NBA ist schwer
Dessen internationale Karriere beginnt im März 1998. Damals führt Nowitzki eine Jugend-Weltauswahl zum Sieg gegen die besten US-Teenager – er erzielt 33 Punkte und 14 Rebounds, fünf seiner Gegenspieler fliegen vom Platz, weil sie sich nur mit Fouls behelfen können. Drei Monate später nehmen die Dallas Mavericks Nowitzki unter Vertrag. Da sei ihm bewusst geworden, “dass Dirk alles erreichen kann”, sagt sein Kumpel Greene.
NBA-Champion Dirk Nowitzki: Mit 32 auf dem Höhepunkt
In den nächsten Jahren spielt er immer effizienter, cooler, klüger - einen Titelgewinn aber traut ihm in den USA niemand mehr zu. Schon gar nicht 2011. Nowitzkis Erzrivalen Dwyane Wade steht in Miami nun unter anderem der weltbeste Spieler LeBron James zur Seite. “Wenn die mich angerufen hätten, hätte ich schon überlegen müssen”, gibt Nowitzki im Sommer 2010 zu. Aber er bleibt in Dallas, ohne Co-Star, mit Mitspielern, die anderswo als zu alt oder zu klein aussortiert worden waren. Unter Nowitzkis Führung pflügt das Team durch die Playoffs und trifft im Finale erneut auf Miami. Die Final-Revanche traut Dallas niemand zu, zumal sich Nowitzki mit einer gerissenen Sehne im Finger und einer fiebrigen Grippe plagt. Nach sechs Spielen reckt er dann doch den Pokal in die Höhe, und Hunderttausende feiern mit Nowitzki bei Paraden in Dallas und Würzburg, wo er „We are the Champions“ grölt, so schief wie schön.
Dirk Nowitzkis: Das Ende in der Nationalmannschaft
2015 steht Nowitzki im Mittelkreis der Berliner Arena, mit Tränen in den Augen. Gerade ist die Nationalmannschaft bei der Heim-EM in der Vorrunde ausgeschieden, das letzte Spiel gegen Spanien geht 76:77 verloren. Nach der Schlusssirene ist das jedoch vergessen. Auf den Rängen stehen 12.000 Fans und johlen, jubeln, schreien, klatschen für Dirk Nowitzki. „Das war mir fast ein wenig peinlich“, erinnert sich Nowitzki im Gespräch mit unserer Redaktion. Natürlich. Das Rampenlicht musste stets ihn finden, wann immer es ging, hielt er sich fern davon.
Vor der Verantwortung aber flieht er nie: Mehr als 150 Mal läuft Nowitzki für das Nationalteam auf - egal, wie sehr das seinem Arbeitgeber in Dallas missfällt. Hier wie dort geht er durch harte Jahre, in denen er der undankbaren Rolle des Über-Spielers nicht entkommen kann.
Bei der EM 2001 ist eine Medaille zum Greifen nah. Doch im Halbfinale gegen die türkischen Gastgeber entspinnt sich ein Drama: Nowitzki vergibt sieben Freiwürfe - zum ersten und einzigen Mal seiner Karriere - und fliegt zudem vom Feld. Deutschland landet auf Platz vier. Im Halbfinale der Weltmeisterschaft 2002 leistet sich Nowitzki kurz vor Schluss gegen Argentinien einen entscheidenden Ballverlust. Dafür führt er das Team später im Spiel um Bronze gegen Neuseeland zur ersten (und bis heute einzigen) deutschen WM-Medaille. Zur EM 2003 reist das Team mit breiter Brust, scheitert aber noch vor dem Viertelfinale. Damit platzt auch der Traum von den Olympischen Spielen 2004.
„Dirk war zur seiner Hochzeit mit der Nationalmannschaft einer der fünf besten Spieler der Welt, er war beeindruckend”, sagt Bundestrainer Henrik Rödl im Gespräch mit unserer Redaktion. 2002 standen der damals 33-jährige Rödl und der 24-jährige Nowitzki gemeinsam im WM-Kader. “Ich war der alte Mann, der unterstützt hat. Aber Dirk war von vorne bis hinten der Anführer.”
Greene trainiert inzwischen die Reserve des FC Bayern München und gibt den Geist der Nowitzki-Generation an den Nachwuchs weiter. „Ich versuche, meinen Spielern etwas von damals mitzugeben. Ihnen die Geschichten von damals zu erzählen, die Geschichten dieser Generation“, sagt er. Dabei gehe es nicht nur um Sportliches, sondern auch um Charakter. „Seine Ehrlichkeit zeichnet Dirk aus, seine Art und Weise. Er ist auf dem Boden geblieben. Er ist keiner, der sich in den Mittelpunkt drängt.”
Dirk Nowitzki und sein Vermächtnis
Dirk Nowitzki hat den Basketball verändert. Das ist sein vielleicht wichtigstes Vermächtnis. Nie zuvor gab es einen Spieler, der trotz der gewaltigen Körpergröße so gut werfen konnte. “Ohne Nowitzki wäre ich ein anderer, ein schlechterer Spieler geworden”, sagt beispielsweise der 2,11 Meter große Chris Bosh im Gespräch mit unserer Redaktion. “Erst als Nowitzki in die Liga kam und die Trainer sahen wie er werfen konnte, haben sie auch uns erlaubt, häufiger aus der Distanz zu werfen”, sagt Bosh, im Finale 2011 Nowitzkis Gegenspieler. Bis dahin galten große Spieler vor allem als Arbeitstiere unter dem Korb.
Für diese Leistung werden sie Nowitzki in den USA schon bald in die „Hall of Fame“ – die Ruhmeshalle des Basketballs - berufen. Auch eine bronzene Statue vor der Arena in Dallas ist bereits in Planung.
In Deutschland bildet Nowitzki sozusagen das “Best of” aller sonstigen Sporthelden: perfektionistisch wie Michael Schumacher und fair wie Max Schmeling. Magnetisch wie Franz Beckenbauer und bodenständig wie Timo Boll. Dabei wollte Nowitzki eigentlich nur vermeiden, den Malerbetrieb seines Vaters übernehmen zu müssen: “Dafür hatte ich zwei linke Hände; das wären lange 40 oder 50 Jahre geworden.”
Stattdessen wurde er zum Vorbild.
Menschlich, weil er mit seiner Stiftung die Bildung von Kindern und Jugendlichen fördert. Weil er jungen deutschen Talenten wie Moritz Wagner (21, Los Angeles Lakers) seine Handynummer gibt und sagt: “Die Jungs können mich jederzeit anrufen.” Und weil er im Laufe seiner Karriere nie das maximal mögliche Gehalt verlangte - und damit auf rund rund 200 Millionen Dollar verzichtete. Dass er dennoch 250 Millionen Dollar verdiente, merkt man ihm nicht an. Nowitzkis Bescheidenheit und Bodenständigkeit sind nicht vorgespielt.
Auch dank seiner Erfolge hat der deutsche Basketball-Bund heute mehr Mitglieder denn je (208.438). “Die aktuelle Generation übertrifft in Sachen Tiefe alles, was wir jemals in Deutschland hatten”, sagt Rödl. Auch nach Nowitzkis Abgang werden mindestens fünf deutsche Spieler in der NBA aktiv sein. Dazu kommen zahlreiche Nationalspieler bei europäischen Topvereinen. Vergangenes Jahr holte die U20 EM-Bronze. “Wir haben die Nach-Nowitzki-Generation an den Start gebracht. Mit ihr wollen und können wir uns in der europäischen Spitze festsetzen - auch langfristig”, sagt Rödl. Das wird auch nötig sein, soll der Nowitzki-Effekt nicht irgendwann wieder verpuffen. “Auf die Nationalmannschaft kommt eine noch größere Funktion zu, als Leitbild des Basketballs in Deutschland”, mahnt Rödl.
Dirk Nowitzkis Zukunft im neuen Fünfer-Team
Auf sein langjähriges Aushängeschild wird der Verband in Zukunft verzichten müssen. Die nächsten Jahre will Nowitzki in einem Fünf-Mann-Team verbringen, das ihm mittlerweile lieber ist als die beste Basketball-Aufstellung der Welt: 2012 heiratete er die Schwedin Jessica Olsson, gemeinsam bekamen sie Tochter Malaika (5) sowie die Söhne Max (4) und Morris (2). “Die Älteste kommt im Sommer in die Schule”, sagt Nowitzki. “Eine Rückkehr nach Deutschland ist auch deshalb nicht geplant.” Stattdessen will er “reisen, Tennis spielen und Wein trinken”. Auch diese Szenen böten sich an - als Einspieler nach dem Abspann zu Dirk Nowitzkis einzigartiger Karriere.
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