Nach dem Abschied vom
Steinkohlenbergbau
Von Antje Seemann
Gestaltet und programmiert von Phil Ninh
Nach dem Abschied vom
Steinkohlenbergbau
Von Antje Seemann
Gestaltet und programmiert von Phil Ninh
An Schacht 10 der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop wirkt beim Ortsbesuch im Juni 2019 fast alles wie immer. Die Gebäude, das Fördergerüst, die Statue der Heiligen Barbara – alles steht noch. Einige Kumpel warten hinter den Zugängen auf ihren Schichtbeginn. Auf den ersten Blick hat sich hier nichts verändert seit letztem Dezember.
Am Zaun davor hängt allerdings ein schwarzes Schild mit weißer Schrift: „Danke Kumpel“, daneben Schlägel und Eisen – das Symbol für den Bergbau – und „21.12.2018“. Das Datum, an dem die Kumpel hier nach der letzten Schicht mit einem Festakt verabschiedet wurden. Manche hier sagen auch, es ist das Datum, an dem die deutsche Steinkohle zu Grabe getragen wurde. Prosper-Haniel in Bottrop war Deutschlands letztes Steinkohlenbergwerk. Beim zweiten Blick merkt man doch, dass sich hier einiges verändert hat. Die Eingangshalle, die Schränke für die Grubenlampen, die meisten Wäschekörbe in der Kaue: leer. Vor einem Jahr haben hier noch rund 1600 Menschen gearbeitet.
Die Grube dicht gemacht haben die Kumpel aber nicht. Für die Rückbauarbeiten fahren nach wie vor Bergleute im Förderkorb unter Tage. Es sind allerdings deutlich weniger geworden: Ende Juni 2019 nur noch 805 Mitarbeiter über und unter Tage. Ende Juli nur noch 702. Die unter Tage sind, bauen jetzt keine Steinkohle mehr ab, sondern die Werkzeuge, die wertvoll sind oder nicht unter Tage bleiben dürfen. “Rauben” heißt das hier.
Wie das Bergwerk schrumpft
Den Überblick über die ständig schrumpfende Zeche hat Michael Sagenschneider, Ingenieur beim Betreiber RAG. „Vieles ist inzwischen abgebaut“, sagt Sagenschneider im Förderkorb auf den Weg in rund 1200 Meter Teufe. Direkt am Schacht laufen Arbeiten, Bergleute hämmern, sägen und tragen. Auch eine Statue der Heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute, wacht nach wie vor über ihre Schützlinge. „Die Heilige Barbara bleibt hier, bis der letzte Bergmann das Grubengebäude verlassen hat“, sagt Sagenschneider.
Das Grubengebäude ist mittlerweile kaum wiederzuerkennen. Ein paar Stahlketten hängen von der Decke. Die meisten Stromgeneratoren sind weg, die Förderbänder sind weg, die meisten Dieselkatzen ebenfalls. Manche Maschinen sind für Bergwerke im Ausland interessant und konnten verkauft werden. Auch Rohstoffe wie Kupfer finden Abnehmer. Und was nicht verkauft werden kann, wird verschrottet. Fast alles muss raus. Auch die Beleuchtung. „Der Bereich ist schon so vorbereitet, dass hier bald ein Damm gesetzt und das Grubengebäude abgeworfen wird“, erklärt Sagenschneider. „Abwerfen” bedeutet, dass ein Bereich endgültig verlassen und versiegelt wird. Der Zeitplan ist straff: Im Herbst sollen die Schächte verfüllt werden. Dann ist der Zugang zur Grube für immer verschlossen.
Ramazan Atli war lange Bergmann und malocht bei der RAG, zuletzt hat er Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Ende Juni steht er vor seiner letzten Schicht. Für Ramazan Atli, der in dritter Generation Bergmann war, ist der Anblick schmerzhaft: „Das, was man selber aufgebaut hat, zu rauben, ist hart“, sagt er. Nach Dezember habe sich die Zeche unter Tage deutlich verändert: „Es läuft nur noch das Nötigste. Alles ist ausgeschaltet, alles ist dunkel. Wir werden nicht mehr dreckig, sondern fahren weiß aus – das ist schon anders.“
Das ist von Prosper-Haniel im Juli 2019 noch übrig
Mitarbeiter: 702 | offenes Grubengebäude: 47 Kilometer | Dieselkatzen: 3
Vorbereitungen für die Ewigkeitslasten
Insgesamt 95 Dämme sollen das Streckennetz von Prosper-Haniel endgültig verschließen, 79 stehen schon. Holzfänger sollen Materialien von den Wasserannahmedämmen fernhalten. 42 Kilometer Rohrleitungen sollen die Wasserhaltung regeln – 35 Kilometer sind schon fertig.
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Einmal Bergmann, immer Bergmann
An diesem Tag ist auch Holger Kenda aus Dinslaken nach Bottrop gekommen. Den ehemaligen Bergmann hat unsere Redaktion während seinen letzten Wochen unter Tage begleitet. Im August 2018 ist er in den Vorruhestand gegangen – nach mehr als 30 Jahren als Kumpel. Doch seine Nase aus der Grube lassen fällt dem 50-Jährigen schwer. Er war bei dem Festakt im Dezember mit am Schacht, hat alte Kollegen bei ihrer letzten Schicht überrascht und hat sie mit in den Ruhestand verabschiedet.
Auch jetzt sieht man im Förderkorb schon seine Vorfreude. „Der Korb rappelt, die Gerüche sind immer noch vorhanden. Aber viel wird da nicht mehr da sein“, sagt er, während es mit 12 Metern pro Sekunde in die Tiefe geht. Seine alten Kollegen freuen sich auch, Kenda wieder zu sehen, legen ihm den Arm um die Schulter und zeigen ihm, wie weit der Rückbau ist. Wehmut ist dabei, wenn er das sieht, sagt er. „Aber so ist das eben.“ Den Bergbau vermisst er, vor allem die Kollegen. „Allein schon die Kameradschaft. Man sieht die alten Kollegen so ja nicht wieder, weil am Ende alle aus anderen Städten kamen. Wir versuchen aber, dass wir uns alle paar Wochen treffen.“
Viele Kollegen hätten sich einen neuen Job gesucht. Auch für den ehemaligen Strebmeister war das eine Option. Eine körperliche Arbeit kann er aber nicht mehr ausüben. Zu sehr hat sich die jahrzehntelange anstrengende Arbeit im Streb auf den Körper ausgewirkt, sagt er. „Die Knochen, die Gelenke sind durch die Arbeit im Bergbau kaputt.“ Zu arbeiten kann er sich trotzdem weiterhin vorstellen. Medikamente ausfahren zum Beispiel oder etwas, das nicht auf die Knochen geht. “Aber zu Hause ist auch ganz schön.“
Das findet auch Kendas erwachsene Tochter. „Die freut sich“, sagt er. „Papa ist zu Hause, dann gehen wir shoppen, Eis essen. Das ging ja früher nicht, da war ich nur auf Schicht.“ Seine Zeit als Bergmann wird er trotzdem in guter Erinnerung behalten. Seinen Helm, den er zuletzt in der Zeche Prosper-Haniel getragen hat, hat er mit nach Hause genommen. „Der steht bei mir auf der Kommode, den sehe ich jeden Morgen.“
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Masterplan für die Bergbauflächen
Während man in mehr als 1000 Metern Tiefe unter der Kirchheller Heide in Bottrop deutliche Veränderungen seit letztem Dezember sieht, hat sich über Tage augenscheinlich noch nicht allzu viel getan. Aber Stadtentwicklung braucht eben Zeit, Strukturwandel sowieso und richtig losgehen kann es erst, wenn die Schächte von Prosper-Haniel wirklich dicht sind. Im Hintergrund ist allerdings schon einiges passiert: Die Stadtplaner aus Essen und Bottrop haben gemeinsam mit der RAG Montan Immobilien einen Masterplan für die rund 1700 Hektar städteübergreifende Fläche erstellen lassen. Der Name: “Freiheit Emscher”. Ein gigantisches Vorhaben. „Wir reden hier von Planungen für Jahrzehnte. Unsere Vision reicht bis ins Jahr 2050“, sagt Christina Kleinheins vom Stadtplanungsamt in Bottrop. „Es dauert viel länger, als sich das viele wünschen. Die Flächen sind ja aktuell noch vom Bergwerk belegt. Da gibt es Abschlussbetriebspläne, die gemacht werden müssen. Wir müssen im Rahmen des Regionalplans die Flächen definieren, Bebauungspläne machen. Das sind Verfahren, die jeweils für sich mehrere Jahre dauern.“
Die Idee, die gesamte Fläche als Einheit zu betrachten, ist nicht neu. Aber bisher fehlte das Geld, erzählt die Stadtplanerin. „Mit dem Ende des Bergbaus gab es eine Bergbauflächen-Vereinbarung zwischen den Kommunen, in denen noch Bergbauflächen sind, dem Regionalverband Ruhr, dem Land NRW und der RAG. Diese Vereinbarung hat uns ermöglicht, Fördermittel zu bekommen.“
In einer Broschüre zeigt eine Grafik die verschiedenen Bereiche und was auf ihnen geplant ist detailliert. Wir zeigen hier die fünf Potenzialflächen.
Beim möglichen Abriss der jetzt nicht mehr benötigten Bergbau-Gebäuden sind die Fördergerüste von Prosper-Haniel keine heilige Kuh. Sie müssen natürlich auch auf Kosten, Nutzen und Schutzwürdigkeit geprüft werden. Neben dem Malakoffturm aus Backstein gibt es noch drei weitere Fördertürme in Bottrop. Einmal der Doppelbock der Schachtanlage Franz Haniel mit dem Schriftzug Prosper-Haniel, die Schachtanlage 9 an der Fernewaldstraße und die Schachtanlage 10 im Stadtteil Kirchhellen, wo die Kumpel bis zuletzt unter Tage gefahren sind. Keiner steht bisher unter Denkmalschutz. „Wir diskutieren im Moment, dass wenn eines dieser Gerüste erhalten bleiben kann, das sinnvollste wohl das Doppelbockgerüst mit dem Schriftzug ist, weil es die Zeche am besten repräsentiert“, sagt Kleinheins. Entschieden ist bisher nichts, sagt die Stadtplanerin. „Ich bin aber zuversichtlich, dass nicht alle drei Fördergerüste abgerissen werden.“
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Beispiel für erfolgreich weiterentwickelte Bergbauflächen
Das Bergwerk Arenberg-Fortsetzung in Bottrop galt zu seiner aktiven Zeit als Musterzeche. 1930 wurde es aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt. Viele Jahre passierte auf der Fläche nichts. Gebäude wie die Lohnhalle im Jugendstil, die Waschkaue und der Lokschuppen blieben erhalten, ebenso Teile der Zechenmauer. Seit 1994 gibt auf dem Gelände nördlich des Tetraeders ein Gründer- und Technologie-Zentrum. Außerdem haben sich verschiedene Gewerbebetriebe angesiedelt.
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RP ONLINE, 18.11.2024